Ingo Anderbrügge - Heimat, Metropole, Zukunft

Was Heimat wirklich bedeutet, hat Ingo Anderbrügge zum ersten Mal so richtig gefühlt, als er rund 700 Kilometer weit weg gewohnt hat von seinem Zuhause. Der ehemalige Profifußballer ist ein waschechtes Kind des Ruhrgebiets. Gespielt hat er für Borussia Dortmund und Schalke 04, er kennt die Gegensätze hier im Pott. Aber er hat auch verstanden, was das Ruhrgebiet in seiner unglaublich facettenreichen Vielfalt verbindet und welches enorme Potenzial in ihm schlummert.

Ingo Anderbrügge, was bedeutet Heimat für dich?

Der Begriff Heimat beschreibt für mich zunächst einmal Menschen. Nach Hause zu kommen, verbinde ich damit, Gesichter zu sehen, mit denen ich groß geworden bin oder mit denen ich mein tägliches Leben verbringe. Übergeordnet steht Heimat aber auch für Erinnerungen bzw. Erlebtes. Daher verknüpfe ich in meinem Fall natürlich vieles mit Fußball, durch meine Familie aber durchaus auch mit dem Berg- bau. Heimat kann sicherlich auch eine Region sein.

Ich habe ein Jahr lang in Bayern gelebt. Dort hast du ein anderes Erleben - es ist durchaus schön dort, aber du merkst, dass das nicht deine Heimat ist. Wenn ich dann im Auto saß, das Schild „NRW“ sah, dann stellte sich bei mir ein Gefühl der Geborgenheit und Wärme ein.

Viele Menschen wissen vielleicht nicht, wo genau deine Heimat im Ruhrgebiet ist. Wo kommst du ursprünglich her?

Ich bin ein Dattelner Junge. Dort bin ich groß geworden und heute lebe ich weiterhin in der Kreisstadt Recklinghausen.

Du hast gerade schon ein bisschen Bezug zum Thema Bergbau genommen. Welche Verbindung hast du zum Bergbau und zur Kohle?

Mein Vater hat als Hauer unter Tage begonnen und hat dann seine berufliche Karriere als Außendienstingenieur nach vielen Fortbildungen irgendwann im Büro beenden können. Er hat mich als damals 16-Jährigen in Waltrop mit unter Tage genommen. Mit Helmen ausgestattet haben wir dort einige kleinere Wege beschritten. Ich erinnere mich noch gut, dass wir nachher beim Duschen bestimmt dreimal so lange gebraucht haben, als man es normalerweise tut.

Außerdem habe ich meine Ausbildung zum Industriekaufmann bei einer Bergbaufirma absolviert. Und als Lizenz- spieler durfte ich sowohl bei Borussia Dortmund, als auch bei Schalke 04 jeweils anfahren.

Wir durften unsere Fans unter Tage besuchen, haben mit den Bergleuten am Ende einen Schnaps getrunken und uns ausgetauscht. Ich kann heute erklären, warum der Begriff Kumpel ein Synonym für Bergleute ist. Die Hilfsbereitschaft und die Arbeitsmoral  konnte ich als Kind und Jugendlicher erleben, da ich mit dieser Generation großgeworden bin und und festgestellt habe, dass der Straßenfußball von früher und der Bergbau viel gemein haben.

Du hast dann aber einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen und bist Fußballprof i geworden. Wie ist es dazu gekommen? 

Im Fußball wirst du gesehen und du wirst eingeladen. Ich habe bei Germania Datteln und der Spielvereinigung Erkenschwick gespielt, kam in der Kreis- und Westfalenauswahl zum Einsatz. Über die Westfalenauswahl bekam ich die Möglichkeit, im letzten A-Jugend-Jahr zu Borussia Dortmund zu wechseln.

Mein erstes Training beim BVB war das letzte Training von Michael Zorc und Ralf Loose, die als Junioren-Nationalspieler Europameister geworden waren. Für mich war es etwas ganz besonderes. Nach einem Jahr in der Dortmunder A-Jugend durfte ich zwei Jahre bei den Amateuren spielen und im zweiten Amateur-Jahr bei den Profis mit trainieren. Es ging wirklich step by step. Und ich weiß nicht, ob meine Eltern mir geraten hätten, schon mit 18 oder 19 Jahren, als ich noch in der Ausbildung war, einen Profivertrag zu unterschreiben.

Aber ich kam gar nicht in die Situation, mich zwischen meiner Ausbildung und Fußball entscheiden zu müssen, das Schicksal wollte es wohl so. Ich habe ein halbes Jahr lang als Industriekaufmann-Geselle gearbeitet und dann erst kam der Profivertrag.

War es ein Traum von dir, beim BVB zu spielen?

Das kann man so nicht sagen, auch wenn ich vier Jahre lang als Lizenzspieler bei Borussia Dortmund war. Ich wäre sicherlich auch zu einem anderen Verein gegangen, denn „den“ Ruhrgebietsverein gab es damals noch nicht.

Bayern München und Borussia Mönchengladbach waren populär. Mein Papa ist mit mir als Kind zum Bökelberg gegangen. Und wenn du dann so einen Linksaußen wie Jupp Heynckes siehst, der mein Idol war, dann packt es dich. Aber dann wirst du Vertragsspieler und Fußball wird dein Job.

Wie ging es nach den vier Jahren in Dortmund weiter?

Ich war verletzt, konnte nicht mehr so richtig Fuß fassen und in dieser Phase mussten einige Spieler gehen - so auch ich. Natürlich haben mich einige Berater kontaktiert, Waldhof Mannheim und der 1. FC Nürnberg hatten Interesse bekundet.

Aber vielleicht war ich aus Verbundenheit zu meiner Heimat nicht so mutig, einen Schritt aus dem Ruhrgebiet heraus zu machen. Und dann konnte sich Horst Franz, der damals Schalke-Trainer war, an mich erinnern. Ich entschied mich, den Schritt in die Zweite Liga zu machen.

Es dauerte drei Jahre, bis ich auf Schalke als Stammspieler wieder dort war, wo ich hinwollte, mit dem Ziel, Erste Liga zu spielen. Bei Schalke konnte ich mir einen guten Namen machen und durchstarten bis 1997 bzw. 2000.

Du kamst früh nach Schalke und hast nach neun Jahren den UEFA- Cup gewonnen…

Es gab drei Spieler, die 1988 geholt wurden: Andreas Müller, Jens Lehmann und mich. Wir durften bis 1997 dabei sein, haben uns mit dem Verein und mit der Mannschaft entwickelt - vom Fast-Abstieg bis zum UEFA-Cup- Sieg. Heute, 21 Jahre später, sprechen wir immer noch davon.

Hast du mit vielen ehemaligen Mitspielern aus dieser Zeit noch Kontakt?

Über meine Repräsentanten-Tätigkeit auf Schalke gibt es immer wieder Berührungspunkte. Denn Fußball ist das, was uns alle verbindet. Martin Max, Olaf Thon sehe ich regelmäßig. Beim jährlichen sogenannten „Legendentreffen“ kommen auch immer mal wieder andere Gesichter dazu.

Schalke ist immer wieder ein Anker für diese Treffen. Und wenn man sich die 97er-Mannschaft anschaut und betrachtet, was die Spieler heute machen, dann sieht man sehr deutlich, wieviel Persönlichkeit in diesem Team steckten.

Was ist dein Lieblingsort im Ruhrgebiet?

Das ist ein bisschen stimmungsabhängig. Ich mag es, mit dem Fahrrad über die Bahntrassen zu fahren. Oder auch, auf einer Halde zu stehen. Natürlich sind es auch die Stadien, der Fußball. Alles hat so seine Besonderheiten und es kommt darauf an, etwas daraus zu machen.

Wo siehst du das Ruhrgebiet in den nächsten fünf bis zehn Jahren?

Das lässt sich gut anhand meiner eigenen, über Netzwerke initiierten, Fußballmannschaft „Ruhrpotthelden“ erklären. Deren Ziel ist es, Gutes zu tun. Partner unserer Gemeinschaft ist die Metropole Ruhr, anhand derer man sehr eindrucksvoll sieht, welche Kraft der Ruhrpott hat.

Vielfach ist dieser Begriff leider außer- halb des Ruhrgebiets negativ besetzt. Deswegen kann man es vielleicht besser als „Metropole“ oder „Stadt der Städte“ begreifen. Und diese hat eine stärkere Strahlkraft als Berlin. Als Junge aus dem Pott möchte ich die Werte der Region nach außen tragen.

Ich bin überzeugt davon, dass wir mittelfristig städteübergreifend Kräfte bündeln können, dass große Firmen die Strahlkraft entdecken und dass die Metropole Ruhr die zukunftsträchtigste Region in Deutschland sein kann.

Wenn wir zum Gelingen beitragen können, ist das großartig. Denn das, was unsere Väter aufgebaut haben müssen wir erhalten. Wir müssen dankbar sein und dafür und dazu beitragen, dass diese Werte auch in unserer Zukunft charakteristisch für das Ruhrgebiet sind.

Fotos: Fabian Riediger

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