Interview mit Annika Drazek

Annika Drazek beschreibt sich selbst als „ein richtiges Sommermädchen aus dem Ruhrgebiet“. Die ehemalige Sprinterin ist inzwischen jedoch in einer Wintersportart angekommen: Als Anschieberin im Bob-Sport wurde sie Welt- und Europameisterin. Im Interview mit ÜBER TAGE spricht die 23-Jährige über Heimat und Fernweh, ihr bewegtes Sportlerleben und die Bedeutung von Social Media.

Annika Drazek, du bist Gladbeckerin und somit Kind des Ruhrgebiets. Hast Du einen Lieblingsort in deiner Heimat?

Das ist definitiv das Wittringer Stadion in Gladbeck. Dort trainiere ich, seit ich acht Jahre alt bin. Dementsprechend kann man sagen, dass ich dort großgeworden bin – mit allen positiven und negativen Erlebnissen, die dazugehören.

Du bist beruflich viel unterwegs. Welche Bedeutung hat das Ruhrgebiet für dich?

Im Ruhrgebiet bin ich aufgewachsen, hier lebt meine Familie und ich fühle mich dort zu Hause, wo meine Liebsten sind. Allerdings ist es im Leistungssport entscheidend, sich überall wohl fühlen zu können. Denn nur dann kann man seine Fähigkeiten bestmöglich abrufen. Gelingt das nicht, wird auch der Wettkampf nicht gelingen. Dabei kommt es mir entgegen, dass ich sehr gerne und viel unterwegs bin. Vor allem zieht es mich an warme Orte. Durch meinen Sport habe ich gelernt, den Winter zu lieben, bin jedoch so oft mit Schnee und Kälte konfrontiert, dass ich in meiner Freizeit gerne andere Akzente setze. Nach einer Saison noch zwei Wochen Skiurlaub dranzuhängen, wäre für mich ein absolutes No-Go.

Sport, das hört man heraus, spielt eine dominierende Rolle in deinem Leben. Ursprünglich kommst du aus der Leichtathletik. Wie kam es zu deinem Wechsel in den Wintersport?

In der Leichtathletik liegen meine Spezialgebiete im 100-Meter-Lauf und im 100-Meter-Hürdenlauf. Mein Trainer hat mir schon früh dazu geraten, in dem Moment zum Bob-Sport zu wechseln, in dem ich Interesse an einer Veränderung entwickeln würde. Allerdings war der Gedanke für mich als Sommersportlerin damals doch sehr exotisch und insofern weit weg. Etwas später hat mich der jetzige Bundestrainer des Bob- und Schlittenverbandes bei einem Wettkampf gesichtet und mir ebenfalls ein gewisses Potenzial attestiert. Er wiederum kennt meinen Trainer sehr gut, so dass die beiden damals bereits Gespräche über meine Zukunft geführt haben. Mein Trainer hat sich allerdings dafür ausgesprochen, mir noch ein paar Jahre in der Leichtathletik zu geben, um Erfahrungen und Erfolge zu sammeln, was sich letztlich als richtig erwiesen hat.

Wann warst du schließlich bereit für die besagte Veränderung?

2014 habe ich im Anschluss an eine Verletzung für mich beschlossen, dass ich eine Veränderung brauche. Neues Training zum Beispiel, anderen Input und andere Menschen um mich herum. Aufgrund der Vorgeschichte bot es sich an, den Bob-Sport einfach mal auszuprobieren. Daher bin ich für einen Tag zum Anschub-Training nach Winterberg gefahren.

Offensichtlich mit Erfolg…

Dafür, dass ich noch gar keine Technik am Schlitten hatte, lief es ganz gut. Anschließend war ich einen Tag in Oberhof und saß mit Anja Schneiderheinze zum ersten Mal gemeinsam im Bob. Ich muss den Bob ja nicht nur anschieben, sondern auch einsteigen und die Strecke fahren. Für viele liegt genau darin das Problem. Bei der Fahrt muss man sich herunterducken und sieht nicht, wohin man fährt. Insofern ist von den ersten Fahrerlebnissen abhängig, ob man weitermacht oder nicht. Für mich war das absolut in Ordnung und so hat sich mein Weg fortgesetzt. Mit Anja Schneiderheinze bin ich Vize-Weltmeisterin und Weltmeisterin geworden. Als sie danach aufgehört hat, bin ich zu Mariama Jamanka ins Team gewechselt. Dort bin ich schnellste Anschieberin geworden und kann dieses Level hoffentlich weiterhin halten.

Sieg und Niederlage liegen in deinen Sportarten oft nur Bruchteile von Sekunden auseinander. Wie gehst du mit Misserfolgen um?

Ich setze mich mit ihnen auseinander. Bei den Olympischen Spielen wollten wir uns im Vorhinein keine Hoffnung auf eine Medaille machen, um eine mögliche Enttäuschung zu vermeiden. Allerdings lief bis dahin alles so gut, dass ich insgeheim doch mit einer Medaille geliebäugelt habe. Diese haben wir dann um acht Hundertstel-Sekunden verpasst, also wirklich nur um einen Wimpernschlag. Dem muss man ins Auge sehen, analysieren, woran es gelegen hat, und vor allem daraus lernen. Keinesfalls darf man sich unterkriegen lassen, denn eine neue Chance kommt bestimmt.

Dein Freund Stefan Bötticher ist ebenfalls Sportler. Wie ist es für Dich, wenn er am Start ist?

Dann bin ich fast noch ein bisschen aufgeregter als bei meinen eigenen Wettkämpfen. Stefan ist Bahnradsportler, hat bei Europameisterschaften bereits Gold, Silber und Bronze geholt. Von ihm lerne ich sehr viel, zumal er nach einer erfolgreichen Laufbahn durch eine Verletzung zwei Jahre komplett von der Bildfläche verschwunden war, ihm aber ein eindrucksvolles Comeback gelungen ist. Er hat es geschafft, locker zu bleiben und im entscheidenden Moment all das abrufen, was er kann – das ist eine regelrechte Kunst. Wir unterstützen uns gegenseitig und ergänzen uns sehr gut.

Im Sport geht es immer auch um Vermarktung. Welche Rolle spielt Social Media dabei für dich?

Es ist brutal wichtig geworden, vor allem auf der Suche nach Sponsoren oder Unterstützern. Auch die Fans haben natürlich ein gesteigertes Interesse daran, etwas vom Trainingsalltag mitzubekommen. Dabei geht es oft nicht darum, viel Text zu produzieren, sondern vielmehr darum, gute Bilder zu zeigen. Blogger und Influencer investieren sehr viel Zeit in Instagram-Profile, produzieren aufwendige Storys. Ich persönlich finde aber, man sollte sich trotz des großen Nutzens nicht zu sehr von Social Media vereinnahmen lassen. Mir geht es so, dass ich manchmal bestimmte Momente einfach genießen möchte, ohne davon Bilder oder Videos machen zu müssen. Dazu gehören mit Sicherheit auch Momente mit anderen Menschen.

Welche Werte sind dir im Umgang untereinander wichtig?

Ehrlichkeit und Loyalität – das ist typisch Pott und das bin auch ich. Ich sage, was ich denke, trage das Herz auf der Zunge und spare nicht mit Komplimenten. Heutzutage kommen Komplimente meiner Meinung nach viel zu kurz, daher haben sie eine umso größere Wirkung, wenn man sie anbringt. Das gleiche gilt für höfliche Umgangsformen. Zum Beispiel, wenn man einen Fremden auf der Straße grüßt. Diese Brüderlichkeit und Gemeinschaft, die das Ruhrgebiet über Jahrzehnte geprägt hat, darf nicht verlorengehen.

Hast du schon jetzt Pläne für die Zeit nach deiner aktiven Karriere?

Ich bin derzeit in der Sportförderung der Bundespolizei und habe dort in diesem Jahr meine Ausbildung abgeschlossen. Die Bundespolizei ist für mich ein starkes Rückgrat. Daher ist es mein Ziel, dort auch nach der aktiven Karriere zu bleiben, aber komplett planen kann man das nie. Darüber hinaus werde ich in meiner Freizeit viel reisen - vor allem an wärmere Orte, auch im Winter.

 

Fotos: Fabian Riediger und Dietmar Reker

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